VVN-BdA fordert: Zurück zur Rationalität in der Geflüchtetenfrage!
In den vergangenen Monaten wurde medial die finanziell und materiell nicht mehr zu bewältigende
Unterbringung und Versorgung Geflüchteter massiv herausgestellt. Eine Reihe von Politiker*innen reagierte darauf mit der Forderung nach stärkerer Einreisekontrolle und Abschiebung. Nun, nach mehreren Amokläufen und Tötungen in seelischen Ausnahmezuständen ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Politikerinnen fordern Abschiebungen, Einreiseverbote, Internierungen,
massive Eingriffe in das Asylrecht, Änderungen des Aufenthaltsrechts. Die dabei verwendeten
Begrifflichkeiten und Zuschreibungen suggerieren, dass sich dieses Land unbedingt vor Gefahren
schützen muss. Vor allen Dingen wird nahegelegt, dass bessere Grenzkontrollen und rasche
Abschiebungen den Haushalt entlastet und Verbrechen verhindert hätten. Hier wird ein hochgradig
gefährlicher Fremden-Stereotyp aufgebaut und gepflegt sowie ein nicht einlösbares Versprechen
abgegeben. Es handelt sich um das Bild krimineller, unberechenbarer, fordernder und tendenziell
die Sozialsysteme ausnutzender Ausländer ohne die es den anderen Menschen im Lande besser
gehen würde.
Bei vielen Politiker*innen ist es noch nicht angekommen: Menschen, die sich zu einer Flucht aus ihrer angestammten Heimat entschließen, haben oft dramatische Situationen erlebt. Die jahrelange Flucht, erlebte Tötungen, Hunger, Vergewaltigung, Zwang, Ungewissheit und der Verlust naher Angehöriger stellen seelische Ausnahmesituationen dar. Laut Bundespsychotherapeutenkammer leidet jeder zweite erwachsene Geflüchtete an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Depression (oft einer wiederkehrenden). Suizidgedanken sind deutlich häufiger als bei Menschen ohne Fluchtbiographie. Ohne hier Einzelheiten abzuhandeln: Nach der Neuregelung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes (Februar 2024) erhalten Menschen erst nach 36 Monaten Gesundheitsleistungen, die hiesigen Standards entsprechen. Aber auch für hier geborene Personen sind länger währende Therapien in diesem Land erst nach 6 bis 12 Monaten erreichbar, wie viele Menschen schmerzlich erfahren haben. Nur ein Bruchteil (geschätzte 10%) der therapiebedürftigen Asylbewerber*innen erhält überhaupt eine Therapie.
Abrechnungs- und Zuständigkeitsprobleme führen darüber hinaus beim Wechsel in den
anerkannten Flüchtlingsstatus zu Abbrüchen von Therapien bei besonders schweren Fällen, die
nach monatelang geprüften Ausnahmeanträgen früher behandelt wurden.
Abrechnungs- und Zuständigkeitsprobleme führen darüber hinaus beim Wechsel in den anerkannten Flüchtlingsstatus zu Abbrüchen von Therapien bei besonders schweren Fällen, die nach monatelang geprüften Ausnahmeanträgen früher behandelt wurden.
Diese desaströsen Verhältnisse sind insgesamt nur schwer vermittelbar und schon gar nicht in einem
wenige Wochen währenden Wahlkampf. Deshalb erfolgt der Rückgriff auf einfache, grundfalsche,
irrationale Muster. Davon wird dann ein ganz einfaches und inhumanes Rezept zur Vermeidung von
Zuzug abgeleitet, das unter EU-Bedingungen nicht haltbar ist. Das wissen sicher auch die, die diese
Versprechungen machen.
Statt der Programme dafür, wie Geflüchtete an den Grenzen oder schon im Vorfeld Europas
abgewiesen und wie sie zwangsweise abgeschoben werden können, erwarten wir Antworten auf die
folgende Frage: Wie können Geflüchtete schneller und besser integriert werden?
Es gibt tatsächlich ein Recht auf Asyl und in der aktuellen Situation müssen die folgenden Aufgaben
gelöst werden:
- Seelische Problematiken wie zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen, Angst,Zwang, Depressionen müssen rechtzeitig und hinreichend erkannt werden. Dies setzt umfassende psychologische und/oder psychiatrische Diagnosen voraus.
- Daran anschließend sind Interventionen in Form von Therapien, Beratungen etc. ambulant oder in Kliniken dringlich. Nur so können Chronifizierungen sowie Selbst- und Fremdgefährdungen verhindert werden. Diagnostik und Intervention sollten kultursensibel erfolgen.
- Um den sehr engen Zusammenhängen zwischen seelischem und sozialem Wohlbefinden gerecht zu werden, müssen die Entwürfe von Lebensperspektiven ermöglicht werden. Dazu gehören zum Beispiel: Chancen, die deutsche Sprache schnell zu erlernen, sich in Freizeitbereiche einzubringen und Begegnungen realisieren zu können. Arbeitsbezogen müssen Potential- und Interessenanalysen stattfinden, um Ausbildungen, Anpassungs- und Zusatzqualifizierungen zu planen. Die Lebensmittelpunkte – also Wohnungen – sind wichtige Voraussetzungen gelingender Integration und müssen Segregation verhindern.
Wir erwarten die Investition in die Integration, keine Hetze oder Ausschluss-Drohungen.
Wir fordern eine Rückkehr zu einer rationalen Betrachtungsweise der Gegebenheiten.
Therapien lindern seelischen Krankheiten. Abschiebungen tun dies nicht.